"Liebe" von Barbara Kromphardt

Wenn auf glatter Stirn von Kindern
dicke Lebensfreude tagt,
wenn der Spatz vor meinem Fenster
kreischend "Guten Morgen" sagt,
wenn du in den Blättern einer Blüte
eine unbekannte Inschrift liest,
wenn du siehst, wie eine alte Dame
hingegeben ihren Milchkaffee genießt,
wenn die Öffnung über meinem Herzen
geräuschvoll auseinander weicht,
wenn ein Penner seinem Bruder
eine angerauchte Zigarette reicht,
wenn die kleine, runde Frau beim Lachen
fröhlich ihren Goldzahn schwenkt,
wenn ein unbekannter Mann
dem Autofenster einen Handkuß schenkt,
wenn mir ohne einen Lohn der Nachbar
warme Brötchen an die Türe klemmt,
wenn ein Baum mit seinen tiefen Ästen
der Wiese einen Scheitel kämmt,
wenn mich plötzlich eine graue Locke
hinter deinem Ohr begrüßt,
wenn mir diese Liebesarie
unentwegt durch meinen Kehlkopf düst,
wenn das Fenster von dem Bücherladen
den Satz verschenkt "Ich hab dich gern",
wenn aus einer göttlichen Platane
mich umarmt mein Lieblingsstern,
keimen all die kleinen Zellen
von versteckten Liebessamen,
ruft der Himmel mit den Winden
voller Zauber deinen schönsten Namen,
haben Engel Liebesfäden
an die kahle Häuserwand geleimt,
und mit leuchtend bunten Liebesperlen
einen Vers darauf gereimt,
pflanzen Himmelsgärtner Liebesflämmchen
jedem Menschen in den Blumentopf,
malen im Vorübergehen
ihnen Herzen auf den Kopf...
Wie im Fieber können dann normale Menschen
Wunderdinge sehn
und so klar wie ein Kristall
ihren Gott in sich verstehn.

23.02.2000

 

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